
Leben mit einer Behinderung
Ein Leben mit Handicap, ist natürlich nicht gleichbedeutend damit, im Alltag permanent und unausweichlich Schwierigkeiten ausgesetzt zu sein. Trotzdem führt eine Behinderung, unabhängig davon, ob sie nun angeboren oder erworben wurde, immer wieder einmal in nicht ganz einfach zu meisternde Situationen. Dabei können Probleme unabhängig von der Art des Handicaps, aber eben auch genau dadurch bedingt sein.
Unsere leistungsbezogene Welt, in der es leider immer mehr nur um das Höher, Schneller, Weiter geht, verlangt es uns ab, dass wir uns selbst für unsere Bedürfnisse einsetzen oder jemanden haben, der dies für uns tun kann, im Falle eines Handicaps also beispielsweise die Angehörigen oder die gesetzlichen Vertreter. Ebenso wichtig ist es, sich selbst zu informieren. Niemand läuft hinter einem her, um einem Hilfestellung anzubieten.
Das gilt natürlich für gehandicapte Menschen ebenso wie für solche ohne Handicap. Hürden im Alltag sollten daher als das gesehen werden was sie sind: Kleine Hürden, die man, wenn man sie nicht überspringen kann, dann eben umfahren oder gezielt aus dem Weg schaffen muss. Es sind Herausforderungen und solchen müssen sich auch Menschen ohne Handicap immer wieder stellen, wenn diese Herausforderungen auch oftmals anders gelagert sind.
In diesem Sinne soll dieser Ratgeber über mögliche Hindernisse informieren. Vor allem aber auch über Wege, die bei der Beseitigung oder Verringerung dieser Hindernisse helfen. Das können medizinische, beratende, gesetzliche oder finanzielle Hilfen sein, je nachdem, um welche Situation es sich gerade handelt. Natürlich kann hier keine konkrete Einzelhilfe für bestimmte Situationen angeboten werden. Es geht vielmehr darum, einen Informationsbeitrag zu leisten, der vielleicht auch dazu anregt, weiter über den Tellerrand zu sehen und sich selbst noch intensiver zu informieren.
Und ganz grundsätzlich gilt natürlich alles hier geschriebene auch als Anregung für gesetzliche Betreuer. In der ersten Hälfte des Ratgebers werden mögliche Alltagshürden und Lösungsansätze betrachtet. Dabei geht es zunächst um allgemeine Alltagsprobleme, im Folgenden dann um Probleme, die sich durch die Art des Handicaps ergeben. Die zweite Hälfte dieses Ratgebers beschäftigt sich mit Lösungen, Vorschlägen und Informationsgrundlagen zu möglichen Hilfen für Menschen mit Handicap.
Unabhängig von der Art des Handicaps entstehende Alltagshürden
Egal mit welcher Art von Handicap man sich auseinandersetzen muss, manche Hürden des Alltags sind davon völlig unabhängig. Integration beziehungsweise Inklusion, je nachdem, welche dieser Bezeichnungen man vorzieht, ist nicht immer einfach. Egal, welches Handicap vorliegt, zunächst einmal ist man einfach anders und wird von der breiten Masse der Menschen auch so betrachtet.
Mal neugierig, mal erschreckt, im schlimmsten Falle angewidert. Oder es wird – demonstrativ oder nicht – einfach weggesehen. Im Zusammenhang mit Handicaps sind Menschen ohne Behinderung zudem oftmals nicht geübt. Sie sind unsicher und wissen nicht, wie sie auf einen behinderten Menschen zugehen sollen, weil sie sich in seine Schwierigkeiten oder seine Welt nicht hineinversetzen können. Es scheint offenbar vielen dieser Leute nicht möglich zu sein, offen und abwartend auf Leute mit Handicap zuzugehen. Ob und inwieweit man dieses akzeptiert, muss sicherlich jeder für sich entscheiden. Am besten fährt man in solchen Fällen vermutlich mit einer gewissen Toleranz. „Sie wissen es eben nicht besser.“ könnte hier ein gesundes Motto sein, um mit der Alltagshürde der Akzeptanz Schwierigkeiten umzugehen.
Auch im Berufsleben ist es nicht immer einfach, mit einem Handicap leben zu müssen. Oftmals können Traumberufe nicht oder nicht mehr ausgeführt werden. Und wenn es nicht die Art der Behinderung ist, die die Berufsausübung beeinflusst, dann kann es natürlich auch die Personalabteilung oder das Management sein, die hier Vorurteile haben. Wichtig ist dabei zu wissen, dass eine Frage nach der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises durch den Bewerber wahrheitsgemäß beantwortet werden muss. Dies steht im Gegensatz zu anderen, die Gesundheit betreffenden Fragen.
Leider ist es so gut wie nie möglich, die Meinung fremder Menschen in diesen Punkten zu ändern, es sei denn, man kann seine Leistungen beweisen. Daher eignet sich auch in diesen Fällen ein passendes Lebensmotto: „Wer nicht kann, was er will, muss das wollen, was er kann.“ Dieses Zitat stammt von Leonardo da Vinci. Gemeint ist damit, dass man sich nicht entmutigen lassen soll, wenn eine Sache nicht klappt. Es gibt, gerade auch im Berufsleben, eine Vielzahl an anderen Möglichkeiten, die man ergreifen kann. Und wer sich bewusst für eine solche Möglichkeit entscheidet, anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, der hat schon wieder eine weitere Hürde des Alltags sicher genommen.
Als letztes, allgemeines Alltagsproblem sei noch genannt, dass es leider oftmals schwierig ist, für Menschen mit Handicap allgemeingültige Lösungen für Probleme des Alltags zu finden. Denn Menschen sind Individuen und Art und Grad einer Behinderung nur ein kleiner Teilaspekt jeder einzelnen Person. Aus diesem Grund kann eine Hilfestellung, die für den Einen angenehm und erstrebenswert ist, für den Nächsten unangenehm und völlig unangebracht sein. Daher noch einmal der Aufruf, selbst möglichst aktiv zu werden und sich für das, was man will, einzusetzen.
Spezielle Alltagshürden bei körperlichen und Sinnesbehinderungen
Die Welt ist darauf ausgelegt, dass wir sie mit allen Sinnen wahrnehmen und unsere körperlichen Fähigkeiten zur Bewältigung des Alltages einsetzen. Abhilfe schafft da Barrierefreiheit, doch dieses Stichwort hat sich leider noch längst nicht überall durchsetzen und in den Köpfen von Planern und Entscheidern festsetzen können. Es ist allerdings durchaus ein Trend dahingehend zu verzeichnen, dass barrierefreie Zugänge, insbesondere zu öffentlichen Einrichtungen und Verkehrsmitteln, immer mehr realisiert werden. Außerdem gibt es inzwischen auch eine Vielzahl von Hilfsmitteln, die den Alltag erleichtern können. Teilweise wird die Anschaffung sogar von der Krankenkasse bezahlt oder unterstützt.
Die Möglichkeiten gehen von speziellen Lesegeräten für Sehbehinderte über behindertengerecht ausgestatte Fahrzeuge, die die eigene Mobilität ermöglichen bis hin zu Spezialbetten. Das Problem ist in der Regel nicht, dass solche Lösungen und Hilfsmittel nicht vorhanden sind. Vielmehr ist es leider so, dass oftmals die eigenen finanziellen Möglichkeiten nicht ausreichen, um entsprechende Anschaffungen zu tätigen. Für diese Fälle gibt es aber im vorletzten Abschnitt dieses Ratgebers beim Thema „Finanzielle Unterstützung“ sicherlich noch einige nützliche Hinweise.
Psychische und geistige Behinderungen und ihre ganz besonderen Schwierigkeiten
Liegt ein psychisches, seelisches oder geistiges Handicap vor, so bedeutet dies oftmals besondere Probleme im Alltag. Nicht selten ist es erforderlich, dass ein gesetzlicher Vertreter notwendig ist, der wichtige Angelegenheiten regelt und entscheidet. Problematisch ist auch, dass gerade bei geistigen Behinderungen gleicher Art ganz unterschiedliche Grade der Behinderung vorliegen können. Nicht selten kann ein so gehandicapter Mensch durchaus geistig einige Leistungen erbringen. Diese zu fördern und für ein möglichst selbstbestimmtes Leben der betroffenen Person einzutreten, ist Aufgabe der Angehörigen und gesetzlichen Vertreter.
Lern- und Sprachbehinderungen
Lern- und Sprachbehinderungen sind in der heutigen informationsorientierten Welt nicht einfach zu bewältigen. Doch auch hier gilt, dass eine möglichst frühzeitige Förderung oftmals ungeahnte Fähigkeiten hervorbringt, die es ermöglichen, den Alltag zu meistern. Es ist auch mit Lern- und Sprachbehinderungen keinesfalls unmöglich, einen guten Job zu haben. Gegenüber Menschen ohne Handicap muss man sich jedoch vermutlich überdurchschnittlich oft neu beweisen. Wer dies als Ansporn auffasst, hat die richtige Einstellung.
Mehr als Rat und Hilfe – Lösungen und Angebote für Menschen mit Handicap
Wo bekomme ich Hilfe? Wer ist mein Ansprechpartner? An wen kann ich mich wenden? Gibt es in meiner Umgebung andere Menschen mit Handicap? Solche Fragen können natürlich in einem Ratgebertext wie diesem kaum abschließend beantwortet werden. Das Angebot an Hilfen und Unterstützungen ist umfassend. Daher sind die folgenden Absätze eher als Anregung zu verstehen, sich selbst in seiner Umgebung einen Überblick darüber zu verschaffen, welche konkreten Möglichkeiten bestehen.
Der Schwerbehindertenausweis, der ab einem Grad der Behinderung von mindestens 50 ausgestellt werden kann, kann in der Regel beim zuständigen Versorgungsamt beantragt werden. Je nach Länderregelung kann jedoch auch eine andere Behörde zuständig sein. Auskunft gibt hier sicherlich die Bürgerinformation der jeweiligen Gemeinde. Je nach Art des Handicaps können im Schwerbehindertenausweis unterschiedliche Feststellungen getroffen werden, die mit verschiedenen Buchstaben (Merkzeichen) und Zeichenkombinationen festgehalten werden. Einen Überblick ermöglicht die folgende Liste:
– 1. Kl.: Mit der Fahrkarte für die Zweite Klasse der Deutschen Bahn kann die 1. Klasse genutzt werden
– aG: Außergewöhnliche Gehbehinderung
– B: Mitnahme von einer Begleitperson bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel
– Bl: Blind
– G: Im Straßenverkehr besteht eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit
– Gl: Gehörlos
– H: Hilflos im Sinne des Einkommenssteuergesetzes, jedoch nicht im Sinne des 12. Sozialgesetzbuches
– RF: Befreiung von Rundfunk- und Fernsehgebühren, Sozialtarif T-Home
Allgemein dient der Schwerbehindertenausweis als Nachweis für die Behinderung. Dies kann beispielsweise bei der Inanspruchnahme von besonderen Rechten im Berufsleben (spezieller Kündigungsschutz, Zusatzurlaub) oder bei Nachteilsausgleichen durch steuerliche Vergünstigungen erforderlich sein.
Sich mit anderen zusammen zu tun, die ein ähnliches Handicap haben und Erfahrungen und Erlebnisse auszutauschen, kann besonders wichtig sein. Auch gemeinsamer Sport und die Teilnahme an Veranstaltungen wirken aktive gegen eine Vereinsamung. Anstatt sich zurückzuziehen sollte auch ein Mensch mit Handicap bewusst am Leben teilnehmen und das tun, woran er Interesse hat. Vereine und Organisationen unterstützen oft dabei, zusammen zu finden, beispielsweise Gehörlosenvereine.
Der Kontakt zu ebenfalls Betroffenen ist auch für die Angehörigen von Menschen mit Handicap von einer nicht zu unterschätzenden Wichtigkeit. Hier können Fragen diskutiert werden, die anderswo wenig Gehör finden, weil dort entsprechende Schwierigkeiten nicht bestehen. Gerade auch Eltern von Kindern mit Behinderungen haben es oftmals nicht leicht, Alltag und Beruf sowie die besondere Versorgung ihres Kindes und seine Förderung unter einen Hut zu bringen. Damit Mütter und Väter dieses leisten können, gibt es auch hier immer mehr Hilfestellungen. Deren Inanspruchnahme ist dabei keinesfalls ein Zeichen von Schwäche.
Das Internet ist eine hervorragende Informationsquelle. Hier kann man sich oftmals bereits gut problemlos selbst informieren um besser zu wissen, welche Rechte und Möglichkeiten man hat, etwas gegenüber Behörden oder Krankenkassen durchzusetzen. Stellvertretend für andere Onlineangebote sei hier zum Beispiel auch www.myhandicap.de genannt. In diesem Portal bekommt man einen umfangreichen Überblick über nahezu alle Themen, die für Menschen mit Handicap interessant sein können.
Immer mehr Urlaubsanbieter haben erkannt, dass Barrierefreiheit ein wichtiges Auswahlkriterium bei der Buchung des Traumurlaubes ist. Inzwischen kann man nahezu überall Urlaub machen, denn geeignete Angebote gibt es inzwischen in den meisten Ferienregionen. Auch hier kann ein genauerer Blick ins Internet eine hervorragende Hilfe sein.
Frühförderung und spezielle Maßnahmen, wie zum Beispiel die Hippotherapie, können mit einer Behinderung einhergehende Schwierigkeiten oftmals verringern oder die Gesundheit verbessern. Denn oftmals ist ja die Behinderung nicht alleine das Problem, sondern die vielseitigen körperlichen, seelischen oder geistigen Beeinflussungen, die sich aus dem Handicap ergeben. Gerade für Eltern von Kindern, die mit einer Behinderung zur Welt gekommen sind, ist es besonders wichtig, sich frühzeitig und umfassend zu informieren und auch mögliche Förderungen in Anspruch zu nehmen. Auf diese Weise ist es oftmals möglich, dem Kind wesentlich bessere Entwicklungschancen zu ermöglichen.
Abschließend sei noch auf die finanzielle Situation sowie mögliche Lösungen und Unterstützungsmöglichkeiten hingewiesen. Denn der Lebensunterhalt ist natürlich ebenfalls ein ganz wesentlicher Aspekt. Zuständig bei einer Behinderung sind vor allem die Sozialversicherungen. Hier sind Krankenkassen, Renten- und Pflegeversicherung in einem Atemzug zu nennen. Sie bieten Leistungen im Bereich der medizinischen Rehabilitation und der Pflege. Wer bestimmte Hilfsmittel benötigt, erhält auch diese unter Umständen von der Krankenkasse finanziert. Auch hier gilt es, sich vorab selbst so genau wie es geht über seine Möglichkeiten und Rechte zu informieren, um diese durchzusetzen. Bei Behinderungen, die durch Berufskrankheiten oder Arbeitsunfälle entstanden sind, ist die Unfallversicherung der wichtigste Ansprechpartner. Was die berufliche Integration betrifft, so ist auch bei Menschen mit Handicap die Agentur für Arbeit der richtige Ansprechpartner. Schließlich greift außerdem die Sozialhilfe, deren Aufgabe es ist, die vorgenannten Leistungen zu unterstützen.
Doch nicht immer reichen diese, auf den ersten Blick recht umfangreich erscheinenden, gesetzlichen Lösungen aus. Denn sie erfordern oftmals von Menschen mit Handicap ein permanentes Leben im Bereich des Existenzminimums. Teilnahme an Veranstaltungen oder Reisen, die Anschaffung von nicht geförderten Hilfsmitteln, all das ist durch die vorgenannten Leistungsträger so gut wie nie abgedeckt. Unterstützend greifen hier allein in Deutschland mehr als 100 Stiftungen ein, die sich für die Förderung von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Es ist daher durchaus sinnvoll, sich bei einem besonderen Bedarf gezielt nach den Kriterien der jeweiligen Stiftungen zu erkundigen.
Fazit
Das Leben mit Handicap ist sicherlich nicht einfacher, als das Leben ohne Handicap. Doch es muss einen nicht zwangsläufig vor unlösbare Aufgaben stellen. Lösungsmöglichkeiten sind in nahezu allen Bereichen vorhanden. Sie in Anspruch zu nehmen, obliegt jedoch jedem selbst. Und wo dies nicht möglich ist, ist es Aufgabe des gesetzlichen Betreuers, Ansprüche durchzusetzen und Hindernisse aus dem Weg zu räumen.