
Pflegeversicherung – Zukunftsperspektiven der Pflege in Deutschland – jüngster Zweig im deutschen Sozialsystem. Das Sozialsystem in Deutschland setzt sich aus fünf Zweigen zusammen: der gesetzlichen Krankenversicherung (seit 1883), der gesetzlichen Unfallversicherung (seit 1884), der Rentenversicherung (seit 1889, reformiert 1957), der Arbeitslosenversicherung (seit 1927) und der Pflegeversicherung (seit 1995). Die Pflegeversicherung als jüngste Säule soll das Risiko der Pflegebedürftigkeit absichern. Derzeit beziehen rund 2,3 Millionen Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung. Die Anzahl der Pflegebedürftigen liegt allerdings weit darüber. Mehr als zwei Drittel von ihnen werden im familiären Umfeld versorgt, rund 4,5 Millionen Haushalte sind betroffen.
Pflegeversicherung – Erwartete Kostenexplosion im Pflegebereich
Prognosen gehen davon aus, dass in 20 Jahren, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre vollständig im Rentenalter sind, in Deutschland fast 24 Millionen Menschen älter als 65 Jahre sein werden – ein Anstieg um 40 Prozent gegenüber heute. Die geschätzte Zahl der Pflegebedürftigen wird dann auf 3,5 Millionen angewachsen sein und somit einen Anteil von 4,5 Prozent an der Gesamtbevölkerung ausmachen (derzeit rund 2,9 Prozent). Weiteren Voraussagen zufolge werden in Deutschland im Jahre 2050 mehr als 4 Millionen Pflegebedürftige mit einem Anteil von 5,6 Prozent an der Gesamtbevölkerung leben.
Von den über 65-Jährigen sind derzeit 11 Prozent pflegebedürftig, davon wird ein Drittel in Heimen vollstationär versorgt. Die monatlichen Kosten einer Betreuung im Pflegeheim betragen derzeit rund 3.500 Euro und lassen sich in vielen Fällen durch die Rente, eine Pflegestufe und das Pflegewohngeld nicht abdecken. Die Mehrkosten einer stationären Pflege gegenüber einer ambulanten Versorgung müssen mit jährlich rund 7.200 Euro veranschlagt werden.
Die prognostizierte demografische Entwicklung würde zwangsläufig zu einer Kostenexplosionen der Pflegeversicherung und im Pflegebereich führen. Das Pestel Institut in Hannover, das unter anderem Untersuchungen über den demografischen Wandel durchführt, hat in einer aktuellen Studie „Wohnen der Altersgruppe 65 plus“ errechnet, dass die Pflege im Jahr 2035 insgesamt gut 25 Milliarden Euro teurer würde als heute.
Stetig wachsende Altersarmut
Dieser Kostenanstieg ist dramatisch vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden Altersarmut. Offiziellen Angaben der Bundesregierung zufolge erreichen Rentner-Ehepaare ein durchschnittliches Netto-Gesamteinkommen in Höhe von 2.433 Euro pro Monat, alleinstehende Männer 1.560 Euro und alleinstehende Frauen 1.292 Euro (2011). Diese Durchschnittswerte berücksichtigen allerdings nicht den entscheidenden Faktor, nämlich die Streuung.
Die Zahl der älteren Menschen, die auf eine Grundsicherung als Ergänzung zu ihrer Rente angewiesen sind, beträgt heute etwa drei Prozent. In den kommenden 20 Jahren wird sie allerdings – als Folge von Niedriglöhnen, prekärer Selbstständigkeit und Arbeitslosigkeit – auf über 25 Prozent in die Höhe schnellen. Hinzu kommt jeweils eine Dunkelziffer an Rentnern, die ihr Recht auf Grundsicherungsleistungen aus unterschiedlichen Gründen nicht in Anspruch nehmen wollen. Breiten Schichten der Bevölkerung droht deshalb ein Absinken in Altersarmut. Dazu zählen nicht zuletzt alleinerziehende Frauen, die bereits heute überdurchschnittlich hoch verschuldet sind.
Wohnsituation der Altersgruppe 65 plus
Die meisten Menschen möchten so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben und ein relativ selbstbestimmtes Leben führen. Die Altersgruppe 65 plus lebt heute zu einem überwiegenden Teil in mehr als 20 Jahre alten Wohnungen, die mit einer Fläche von durchschnittlich 60 Quadratmetern pro Bewohner weit über dem Durchschnitt aller Bundesbürger liegen. Dies gilt ebenso für die Eigentümerquote von knapp 55 Prozent. Nur einer von 20 Senioren-Haushalten verfügt allerdings über eine weitgehend barrierefreie Wohnung. Eine ambulante Betreuung in den eigenen vier Wänden ist daher nur eingeschränkt möglich. Notwendigerweise folgt der ungeliebte Umzug in ein Pflegeheim.
Pflegeversicherung – Gezielte Umbaumaßnahmen zur Senkung der Pflegekosten
Durch Investitionen in seniorengerechte Wohnungen der Pflegeversicherung ließe sich ein Teil der zu erwartenden Mehrkosten im Pflegebereich auffangen. Zu den Umbaumaßnahmen gehört beispielsweise der Einbau breiterer Türen, sodass Menschen im Rollstuhl oder mit einer Gehhilfe problemlos hindurchpassen. Darüber hinaus eignen sich technische Hilfsmittel, beispielsweise ein Treppenlift, ein erhöhter Toilettensitz sowie Haltegriffe in Bad und Küche. Wichtig wären auch Duschen auf bodengleichem Niveau. Die findet man derzeit meist in Erdgeschosswohnungen, doch gerade dort möchten viele ältere Menschen aus subjektiven Sicherheitserwägungen nicht wohnen. Ein Umbau empfiehlt sich, wenn die Betroffenen selbst Eigentümer der Immobilie sind. Mieter müssen sich die Umbaumaßnahmen vom Vermieter genehmigen lassen, tragen die Kosten jedoch allein. Das lohnt sich nur dann, wenn der Vermieter im Gegenzug auf sein Kündigungsrecht verzichtet. Die barrierearmen Wohnungen sollten nicht zu groß sein und in einem passenden Wohnumfeld liegen, das Mobilität, Selbstständigkeit und Alltagsversorgung ermöglicht. Sie sollten nicht zuletzt in Städten mit explodierenden Mietpreisen auch bezahlbar sein – unabhängig von der Dicke der Geldbörse.
Der Umbau zur barrierearmen oder sogar barrierefreien Wohnung würde durchschnittlich 15.600 Euro kosten. Schon mit den Extrakosten für die stationäre Pflege könnte eine seniorengerechte Wohnungssanierung in gut zwei Jahren finanziert werden. Derzeit leben 750.000 Menschen in Deutschland in Pflegeheimen. Falls 500.000 von ihnen daheim versorgt werden könnten, ließen sich schon nach fünf Jahren 12,6 Milliarden Euro an Pflegekosten einsparen. In jedem weiteren Jahr kämen 4,2 Milliarden Euro hinzu. Forscher des Pestel Instituts beziffern die Zahl der in den kommenden Jahren zusätzlich benötigten Senioren-Wohnungen auf rund 2,5 Millionen und die erforderliche Investitionssumme auf 39 Milliarden Euro.
Pflegeversicherung – Unterstützung durch die öffentliche Hand
Erfahrungen zeigen, dass ein einziger staatlicher Förder-Euro etwa acht Euro an privaten Investitionsmitteln nach sich zieht. Um die benötigte Investitionssumme von 39 Milliarden Euro zu erreichen, müsste der Staat 4,33 Milliarden Euro bereitstellen, verteilt auf acht Jahre. Dies entspricht einer jährlichen Förderung in Höhe von 540 Millionen Euro.
Die zinsgünstigen Förderkredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau für barrierereduzierende Maßnahmen oder den Ankauf umgebauten Wohnraums sollten mit höherem Volumen und ergänzt um weitere bedarfsgerechte Konditionen angeboten werden. Alten Menschen, für die Kredite mit langer Laufzeit wenig attraktiv sind, wäre mit direkten Bauzuschüssen gedient. Gleichzeitig müssen als Anreiz für freie Investoren attraktive Abschreibungsmodalitäten geschaffen werden. Die Kommunen haben ihrerseits die Möglichkeit, durch sozialen Wohnungsbau bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen.
Rentner-Wohngemeinschaft als Alternative?
Realistisch gesehen wird es wohl nicht gelingen, preisgünstige Wohnungen für alle Betroffenen bereitzustellen. Deshalb muss geprüft werden, welche alternativen Wohnformen in einem gleich bleibenden sozialen Umfeld von dieser Altersgruppe akzeptiert würden. In einigen Universitätsstädten können Studenten eine besonders preiswerte Unterkunft mieten, wenn sie sich vertraglich verpflichten, den dort wohnenden Älteren ein paar Stunden pro Woche behilflich zu sein, beispielsweise beim Einkauf. Auch reine Rentner-Wohngemeinschaften sollten verstärkt erprobt werden.
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